Hast Du schon mal einen Unfall gehabt? Bist Du Zeuge oder Opfer eines Verbrechens geworden? Oder hast in einer anderen bedrohlichen Situation große Angst gehabt? Dann bist Du sicher mit dem Begriff des Traumas vertraut. Neben plötzlichen Erlebnissen können auch langanhaltende Situationen zu Traumata führen. Was das mit den Folgen der Corona-Pandemie zu tun hat, erörtern Thomas und Thomas in der aktuellen Folge gemeinsam mit dem Theologen, Traumafachberater und Transaktionsanalytiker Peter Bremicker.
Traumatische gesellschaftliche Lage
Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie sagte Peter Bremicker im Austausch mit dem co-kreativen Transaktionsanalytiker Thomas Lorenzen: „Das Thema wird traumatisch.“ Mehr als zwei Jahre später kann er mit Thomas & Thomas bereits eine aussagekräftige Bilanz ziehen. Der Traumfachberater aus Süddeutschland, der seit drei Jahren in Hamburg lebt und arbeitet, trifft bei seiner Arbeit viele Menschen. Für einige sind die Folgen der Pandemie tatsächlich zum Trauma geworden. Thomas Lorenzen bleibt uns die genaue Bedeutung des Begriffs auch dieses Mal nicht schuldig: Griechisch übersetzt bedeutet Traum Wunde und steht für seelische Verletzung oder Überforderung.
Was hat das mit der Corona-Pandemie zu tun? Bremicker weiß: „Trauma bezeichnet ein vitales Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den eigenen individuellen Bewältigungsmöglichkeiten.“ Das Empfinden dieser Lücke zwischen der äußeren Situation und den eigenen Ressourcen sei häufig verbunden mit einem Gefühl von Hilflosigkeit, schutzloser Preisgabe und der dauerhaften Erschütterung von Selbst- und Weltbild verbunden“, sagt der Traumafachberater. „Das ist ziemlich genau das, was passiert ist“, konstatiert Bremicker über den Zusammenhang zwischen Traumata und der Pandemie. Der reduzierte Kontakt, die radikale Veränderung von Schule und Arbeit sowie ein neues Zusammenleben in Paaren und Familien kann zu Überforderung und Stress führen.
Pandemischer Stress
Wie sehr wir seit Beginn der Pandemie in unserer Bewegungsfreiheit und Autonomie eingeschränkt sind, erleben alle drei Transaktionsanalytiker in ihren Praxen. Peter Bremicker erzählt von einer Familie, die sich von ihrem sterbenden Großvater im Krankenhaus nie verabschieden konnte. Das kann traumatisch sein. Bremicker erklärt: „Pandemischer Stress kann zu traumatischen Erfahrungen führen, zu Re-Inszenierungen. Gewisse Situationen holen die gesamte Gefühlswelt und das Erleben wieder hoch, weil ich mich daran erinnert fühle.“ Dabei trifft es nicht alle Menschen gleich. Wer lösungsorientiert in die Zeit von Lockdowns und Kontaktbeschränkungen ging, konnte damit oft besser umgehen als diejenigen, die eine problemorientierte Perspektive einnahmen. Noch immer erleben die Berater, dass viele ihr „altes Leben“ zurückwollen. Für sie besteht die größte Aufgabe darin, zu akzeptieren, dass das so nicht mehr stattfinden wird und alternative Lösungen/ Optionen zu erarbeiten.
Auch auf Organisationen trifft diese Herausforderung zu: Wie können wir dauerhaft mit Corona leben? Wir müssen uns mit ganz neuen Gegebenheiten arrangieren. Dazu gehören auch eher positive Trends wie schnell voranschreitende Digitalisierung und Innovationen. Für alle, die in Organisationen arbeiten, geht es darum sich zu öffnen und neu zu denken. Die Einschränkungen der Pandemie machen uns das allerdings schwer. „Die Lunte im Umgang miteinander ist kürzer geworden. Wir reagieren schneller als dass wir lösungsorientiert miteinander umgehen“, sagt Thomas Wehrs und Peter Bremicker bestätigt: „Permanente Anspannung führt zu pandemischem Stress. Wir verlieren das Vertrauen ineinander und es geht sehr entgrenzt zu.“
Selbsthilfe zum Weg aus pandemischem Stress
Wie geht der Traumafachberater mit den vielen individuellen Herausforderungen um? „Für mich ist am wichtigsten, genau zuzuhören. Was beschreibt der Mensch aus seinem Bezugsrahmen heraus? Was klingt für mich real und was surreal? Ich nehme diese Diskrepanzen erstmal wahr und spiegele sie zurück.“ Der Berater erlebt, dass Menschen mit dem Thema Konflikt in seine Praxis kommen. Dabei stellt sich manchmal heraus, dass ein Trauma die Ursache ist. Mit diesem Wissen kann Bremicker präventiv arbeiten, das Trauma mit dem Klienten behandeln und damit womöglich so manchen zukünftigen Konflikt vermeiden.
Was kann ich tun selbst tun, um die pandemische Situation nicht zum Trauma werden zu lassen?
Die 3S aus der Transaktionsanalyse geben tolle Anhaltspunkte dafür:
- Struktur gibt Halt durch Rituale wie Meditieren, den täglichen Spaziergang und andere eigene Rückzugsräume
- Stimulierung versorgen uns mit Reizen und Denkanstößen wie bei einem Theaterstück, einem Konzert oder dem angeregten Austausch mit Freunden
- Strokes zeigen uns, dass wir gesehen und anerkannt werden. Wir können Freunde oder Kollegen darum bitten, uns positive Rückmeldungen zu geben, wenn sie uns fehlen
Bleibe in Kontakt mit Dir und in Bezug auf andere Personen. Damit können wir uns frühzeitig helfen, beginnende Traumen zu erkennen und zu vermeiden.
Bei der nächsten Episode beschäftigen sich Thomas Lorenzen aus Hamburg und Thomas Wehrs aus Berlin mit Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Lest in der Zwischenzeit gern auf unserem Blog mit und nehmt Kontakt auf.